Ich sitze in der Mitte eines Studios, das mich an die Brücke eines Raumschiffes erinnert. Leicht nach vorn gelehnt und mit geschärften Sinnen mache ich mich auf, die unendlichen Weiten des Klangraums zu erforschen. Ein vor kurzem fertig gestellter Song beginnt und Zino Mikorey lässt mich für einen Augenblick mit der Musik und mir selbst allein. Während er für uns beide Tee holt, folgen für mich 3:17 Minuten Soundkultur und Musikgenuss in Reinkultur. Rhythmus bewegt den Raum von unten, Instrumente kommen von links und gleiten über die Mitte zur rechten Gehörseite, wo sie sich jedoch nicht ausruhen wollen. Eine klare Stimme erscheint direkt vor meinem Gesicht und dirigiert das ganze Musikorchester, das sich mittlerweile um mich herum aufgestellt hat. Ich öffne meine Augen und grinse. Wie ein Drogentrip für die Ohren, aber ohne den Kater am nächsten Morgen. Baby, gib mir mehr davon. I´m hooked! Und während ich hier sitze, fällt mein Blick auf die Platten der Musiker, die in diesem Studio bereits mastern ließen: Ry X, Deichkind, Nils Frahm, Metronomy, Rival Consoles, Parcels, Solomun. Ich erstelle mir eine Selbstdiagnose: Fanboying.
Mastering Engineer
Ich bin heute zu Gast bei Zino Mikorey. Während kaum ein Musikkonsument je von ihm bewusst gehört haben wird, ist es unbewusst doch längst geschehen, denn Zino ist Mastering-Engineer und als solcher aus der deutschen und internationalen Musikszene nicht mehr wegzudenken. Mastering ist der letzte Schritt im kreativen Prozess des Musikschaffens und gleichzeitig der erste Schritt in den Vertrieb von Musik. In der Vergangenheit war die Spezialität eines Mastering-Engineers die Übertragung von Master-Mixen auf Lackmaster für die Produktion von Vinyl-Platten. Seitdem hat sich in der Mastering-Welt viel verändert. Das Mastering hat sich im Laufe der Jahre aufgrund der Fortschritte in der Technologie und der verschiedenen Formen der Medienkanäle immens weiterentwickelt. Mit den technologischen Veränderungen kam der Bedarf an besseren Mastering-Fähigkeiten, Techniken, Räumen und mehr Erfahrung. Anstatt einfach nur Laquer für die Produktion herzustellen, wird von Mastering-Engineers erwartet, dass sie die Tracks zu einem zusammenhängenden Album aufpolieren und dem Sound einen Charakter verleihen, der aus jeder Quelle großartig klingt.
Vor vielen Jahren hatte ich Zino auf einer Mitfahrgelegenheit nach München kennengelernt. 6 Stunden haben wir gemeinsam über Musik generdet. Das war fantastisch und blieb in Erinnerung. Selten zuvor hatte ich jemanden getroffen, der so passioniert und gleichzeitig fachlich dermaßen krass war. Kurze Zeit nach unserer ersten Begegnung eröffnete er in Berlin sein Studio. Ich gab die Debut-EP meines Musikprojektes in seine Hände und erhielt eine Platte zurück, die nicht nur wesentlich besser klang als vorher. Er war auch der erste, der verstanden hatte, was ich mal ursprünglich sagen wollte.
Ein Tempel für guten Sound
Für mich war vollkommen klar, dass Zino irgendwann im 257Mag auftauchen muss. Wir verabreden uns für einen Samstagabend in Berlin-Kreuzberg. Zino Mikorey empfängt mich am Fahrstuhl zu seinem Studio mit einem breiten Grinsen, das die Vorlage für eine herzliche Umarmung gibt. Ein Besuch des Mastering Studios von Zino Mikorey ist wie der Besuch eines Vergnügungsparks für audiophile Menschen. Überall wohlgeordnete Platten, Regler zum Drehen, Knöpfe zum Drücken, Sound zum Reinlegen und Atmosphäre zum Verweilen. Das Studio liegt in einem Gebäudekomplex, in dem sich Musiker, Produzenten und andere Musikschaffende eine Basis geschaffen haben. Gut genug eingerichtet, um Style zu attestieren und unordentlich genug, damit es nicht das Label Hipster bekommt. Im Studio selbst ist jeder Quadratzentimeter Stoff, Wand und Boden soundoptimiert. Ja, das geht nicht nur, sondern ist sogar sehr wichtig, um eine ideale Akustik zu gewährleisten und den möglichst unverfälschten Klang aus den Lautsprechern zu erhalten. Ein bisschen wie in einem Labor.
Das Ergebnis meiner Arbeit ist am Besten, wenn man mich am wenigsten heraus hört.
Zino, Zino Mikorey Mastering
Das Interview mit Zino Mikorey
257Mag: Was ist momentan deine Lieblingsplatte?
Zino: Immer das aktuelle Projekt, an dem ich arbeite.
257Mag: Echt jetzt? Zeig her.
Zino: Warte kurz…(Zino lädt „Staub“ von Panda Lux)…komm, setz dich hier in die Mitte, drück auf Play und ich hole in der Zeit Tee.
Beschreibung des Erlebten, siehe Einleitung oben…
257Mag: Deine Lieblingsplatten sind die, an denen du gerade arbeitest? Kannst du dir deine Projekte aussuchen?
Zino: Ich habe eine ganze Zeit lang mehr oder weniger alles gemastert, was mir zugeschickt wurde. Das führte zu einem vollen Terminkalender, aber gleichzeitig zu einem leeren Herzen. Ich war komplett ausgebrannt. Während eines einmonatigenUrlaubs mit meiner Tochter wurde mir klar, dass ich daran etwas ändern muss. Ich entschied nur noch Platten anzunehmen, hinter denen ich auch musikalisch stehen kann. Das war zwar erstmal eine große Umstellung die auch Angst und Zweifel mit sich brachte aber mittlerweile kann ich froh und stolz berichten, dass ich nur noch Musik mastere, die mir gefällt! Ich hab den besten Job der Welt: Geile Musik den ganzen Tag!
257Mag: Wie bist du überhaupt dazu gekommen, dich auf das Thema Mastering zu spezialisieren?
Zino: Als ich angefangen habe in meinem Kinderzimmer Beats zu bauen, wollte ich ganz einfach so fett klingen wie die ganzen US-Produzenten. Da musste man natürlich irgendwie herausfinden, wie man den fetten Bass bekommt und die Helligkeiten herausholt. Jetzt wo wir drüber reden, fällt mir zum Thema Soundverliebtheit sogar noch ein Erlebnis aus meiner früheren Kindheit ein. Als ich klein war, hatte ich Geigenunterricht. Ich bin wirklich faul gewesen und hatte eine llangsame linke Hand. Aber es klang immer gut. Das führte dazu, dass sich mein Geigenlehrer irgendwann fragte, warum so ein wurschtiger Geigenschüler wie ich eine so krasse Geige hat? Er nahm sich die Geige, spielte daraufund stellte fest, dass die überhaupt nicht krass war. In seinen Händen klang die natürlich noch besser, aber das ist die erste Erinnerung an mein Gefühl für Klang.
257Mag: Sound entsteht aber nicht erst beim Mastern. Du könntest ja auch sagen, du produzierst oder schreibst die Songs. Wie kamst du genau auf diesen Teilbereich?
Zino: Ja, stimmt. Ich habe viele Jahre selber Musik gemacht – 7 Alben released danach für die Werbebranche Musik produziert. Danach ging es in die Postproduktion danach zurück in die Musik als Mixing Engineer. Ich habe meinen Kunden im gesamten Produktionsprozess immer so viele Tipps gegeben, dass sie irgendwann das meiste selbst hinbekommen haben. Ihre Mixe wurden immer besser so dass sie am Ende nur noch das finale Mastering brauchten – ich habe damals wie heute sehr viel mit Stems gearbeitet… Als ich dann von München nach Berlin gezogen bin, habe ich beschlossen „All in“ zu gehen und mir ein Studio aufzubauen, dass sich voll und ganz auf das Thema Mastering konzentriert.
257Mag: Viele, die nicht so tief in der Materie stecken würden vermuten, dass man nicht viel mehr als einen Computer und ein paar gute Lautsprecher dafür braucht. Was war aus deiner Sicht notwendig, um es richtig anzugehen?
Zino: Das wichtigste ist der Raum. Er allein entscheidet was ich höre und worauf meine Entscheidungen basieren. In meinem Fall gibt es den Raum nicht – es ist ein Front to Back Raum von Thomas Jouanjean. Das bedeutet ich höre nur was aus meinen Lautsprechern kommt und dadurch nur aber eben auch alles, was in der Musik tatsächlich drin ist. Dann brauchst du auch richtig gutes Equipment, um in der oberen Liga mitzuspielen. Für mich hieß „All in“ nicht, einfach nur mit meinen Internationalen Heros aus mitzuhalten. Für mich bedeutete das, ich will das beste Studio der Welt haben. Alles hier drin habe ich mehrmals getestet – sehr viel modifiziert oder custom bauen lassen. Mittlerweile hat sich das zu einer Referenzumgebung entwickelt und das hört man auch im direkten Vergleich auf Spotify zum Beispiel und das macht mir natürlich irre Spaß 🙂
257Mag: Rein theoretisch könnten sich die Pros da draußen doch dein Studio 1:1 nachbauen.
Zino: Jahaha es gibt wirklich Leute, die genau das tun! Gott sei Dank ist es aber nicht nur das Equipment allein, was guten Sound macht. Ich habe mich ja für all die Komponenten entschieden, weil ich für die Art und Weise, wie ich Sound höre, fühle und bearbeite, genau diese Kette ideal finde. Für mich macht jede noch so kleine Änderung einen entscheidenden Unterschied im Sound. Deswegen könntest Du alle Geräte nachkaufen aber würdest nie so klingen.
257Mag: Für Künstler aller Arten geht es viel um die Einzigartigkeit im Style und der persönlichen Perspektive. Wie kann man deinen Style beschreiben bzw. was macht deine Arbeit so besonders?
Zino: Mein persönlicher Anspruch ist, dass man aus keiner Platte, die ich je in meinen Fingern hatte, den „Zino-Style“ heraushört. Das Ergebnis meiner Arbeit ist am besten, wenn man mich am wenigsten heraus hört. Das heißt für mich, ich gehe voll mit dem Impuls des Künstlers / Produzenten mit und pushe das, was ich dort höre. Wenn der Sound in meinen Ohren irgendwie weird klingt, ruf ich bei der Künstlerin oder dem Künstler an und frag, ob das beabsichtigt ist. Und wenn das der Fall ist, hol ich den richtig raus und mach ihn zum charakteristischen Merkmal. Wenn Dir jemand den komischsten Sound der Welt präsentiert, ihn aber genauso beabsichtigt, wirst Du Dich Ihm öffnen und Gehör schenken und nicht einfach als schlecht abtun. Es gehört zu meinen Stärken, dass ich sehr schnell verstehe, wie das Musikstück, das vor mir liegt funktioniert und wie die Bühne zu dem musikalischen Spektakel aussehen muss, um besser verstanden zu werden.
257Mag: Was sind für dich die wichtigsten Zutaten eines guten Sounds?
Zino: In meinem Leben komme ich immer wieder an zwei entscheidenden Begriffen an: Balance und Headroom Zuerst muss alles in Balance sein! Du kannst z Bsp. kein super lautes Vocal haben ohne eine super laute Snare oder einen super lauten Bass. Das kannst du nicht bringen. Aber wenn alle drei super laut sind, merkst du gar nicht mehr, wie überzogen laut das insgesamt wird und dich nur noch anschreit. Es ist ein Drahtseilakt. Wenn mich ein Kunde anruft und sagt: „Wir wollen auf jeden Fall einen richtig fetten Bass!“ dann weiß ich ganz genau, wenn die den Mega Bass wollen, brauchen die auch die mega Höhen, damit das in Balance ist. Das ist ein permanentes Abschmecken. Wie beim Kochen.
Das nächste ist Headroom also wieviel weiter nach oben könnte ich bevor was kaputt geht. Es gibt ein wunderbares Beispiel dafür – 30 kmh in einem Fiat Panda fühlen sich ganz anders an als in einem heftigen Sportwagen – es geht darum alles dort zu benutzen wo noch viel Raum nach oben – ganz viel Kraft vorhanden ist 😉
257Mag: Machst du selbst noch Musik oder was anderes auf einem Nerd-Level?
Zino: Ganz ehrlich, die einzigen zwei Sachen, an denen ich je wirklich dran geblieben bin und die mir alles bedeuten, sind meine Tochter und diese Sache hier. Ich probiere viel aus, doch es ist immer das gleiche: Es gibt dieses erste Yeah! Und wenn sich das abnutzt, dann wirds eher so zu einem äoh… Das Vier-Phasen-Modell trifft total auf mich zu. Kennst du das?
257Mag: Ich kenne leider nur, dass man nicht am Ball bleibt. Ich kann ein ziemlich faules Schwein sein. Was ist das für ein Modell?
Zino: Haha! Ich hab das in meinem Leben bestimmt schon 100 mal erzählt, aber ich liebe dieses Modell. The four stages of competence. Egal was du machst, es passt auf alles.
Phase 1: unconsciously incompetent. Du fängst zum Beispiel an Klavier zu spielen. Du setzt dich hin und drückst ein paar Tasten. Jemand zeigt dir ein paar Akkorde und du so“ Boah, das ist ja mega easy!“ Du spielst so ein bisschen rum und erzählst deinen Freunden: „Ja ich spiel jetzt Klavier und das macht so mega Bock und ich bin irgendwie auch schon so richtig gut. Yeah!“ Dann kommst du in die 2. Phase.
Phase 2 : consciously incompetent. Du fängst an über den Tellerrand zu schauen und merkst plötzlich „Fuck, ich kann ja gar nix! Alle können mega Klavier spielen, aber ich kann überhaupt nichts.“ Das ist dann auch die längste Phase von allen und die, in der die meisten leider aufhören an der Sache dranzubleiben. Aber wenn Du diese zweite Phase überstehst bist du auch schon nahe an den klassischen 10.000 Stunden, die man braucht, um in etwas sehr gut zu werden. Dann kommt die 3. Phase.
Phase 3: Consciously competent. Jetzt kannst du dich schon mit anderen vergleichen, Geld verdienen und merkst Du kannst was. Das fühlt sich schon ziemlich gut an! Und dann kommt die letzte Phase, Stage 4.
Phase 4: Unconsciously competent. Da kommst du in den Raum rein und machst es einfach. Es ist in Fleisch und Blut übergegangen
Allerdings fluktuieren diese Phasen auch immer mal wieder. Ich kann manchmal innerhalb eines Songs von Phase vier auf zwei, auf drei auf 4 (puh!) gehen. Das schöne ist, wenn ich wenig Zeit hab, bin ich automatisch in Phase vier. Wenn ich mehr Zeit hab, schwappe ich zurück in Phase drei. Und manchmal sitze ich hier bei einem super schwierigen Song in Phase zwei rum und denke mir „Fuck, wieso kriege ich diesen Song einfach nicht gedreht?! Was haben die da in dem Song gemacht?!“ und geb dann natürlich den anderen die Schuld, hahahaha.
257Mag: Das ist wie beim Pin oder Passwort. Meistens gibst du das ohne nachzudenken einfach ein und manchmal will dir das auf Gedeih und Verderb nicht einfallen.
Zino: Ja genau so!
257Mag: Dein Studio ist eingerichtet, du bist im Zentrum der Musikszene angekommen und bist in internationalen Topproduktionen drin. Was kommt als nächstes?
Zino: Ich habe 7 Jahre produziert, 7 Jahre gemischt und 7 Jahre gemastert. Das sind 21 Jahre, die ich daran gearbeitet, um an diesen Punkt zu kommen. Ungefähr genauso lange habe ich gebraucht, um zu akzeptieren, dass ich gerne viel und zu ungewöhnlichen Zeiten arbeite. Das ist mit dem Privatleben nicht immer ganz leicht vereinbar, aber ich bin mit mir jetzt im Reinen und ich habe das Gefühl damit auch ein besserer Mensch zu sein. Und bevor ich mir deine Frage selbst stellen musste, kam die Antwort fast von selbst zu mir geflogen: Ich habe Bock wieder noch tiefer in den Sound einzugreifen und involviere mich mehr bei manchen Produktionen durch Stems oder viel feedback. Ich habe die Entscheidung getroffen und auf einmal kamen die Anfragen dazu automatisch. Ich darf zwar noch keine Details nennen, aber ich freu mich gerade schon sehr, was da dieses Jahr noch alles rauskommt 😉
257Mag: Das sind gute Nachrichten und ich bin gespannt auf die neuen Projekte. Danke dir Zino für deine Zeit und die gute Musik hier. Ich fang jetzt an auf eine vernünftige Anlage zu sparen. Viel Erfolg weiterhin und alles Gute!
Mehr über Zino Mikorey
Web: zinomikorey.com
Instagram: https://www.instagram.com/zinomikoreymastering/
Wenn euch Story No. 4 gefallen hat, dann teilt sie doch mit den Freunden, die sich auch dafür interessieren könnten. Das 257Mag ist mein persönliches Herzensprojekt und nur durch euer Feedback und durch eure Unterstützung bleibt es lebendig. Ich würde mich freuen, wenn ihr dran bleibt, Vorschläge für inspirierende Persönlichkeiten macht und der Welt vom 257Mag erzählt. Danke, dass ihr mir und Zino eure Zeit gespendet habt. Ich weiß das sehr zu schätzen. Bis zum nächsten mal …